Zeitkratzer
„Metal Machine Music“
(Zeitkratzer Records/Broken Silence)
Den Atem angehalten. Die genussvoll maßlosen Improvisationskünstler Zeitkratzer legen eine Bearbeitung von Lou Reeds Doppelalbum „Metal Machine Music” von 1975 vor, das sich damals sämtlichen Konventionen verweigerte. Für Spätgeborene: Es handelt sich dabei um eine enervierende Feedback-Orgie, in der Lou Reed vieles, vor allem aber seine Skepsis gegenüber den Machenschaften des Musikzirkus brachial zum Ausdruck gebracht hat. Das Album musste naturgemäß floppen, heute gilt es als Vorläufer der Industrial-Musik europäischer Prägung. Gut vierzig Jahre nach Reed ist es an dem wieder einmal grandios aufspielenden Improvisations-Ensemble Zeitfresser, dem stilbildenden und zu oft in Vergessenheit geratenen Werk des großen Tondichters eine verdiente Abreibung zu verpassen. Denn was Lou Reed mangels Willen oder Möglichkeit dereinst nur skizzierte, vitalisieren Zeitfresser mittels instrumentaler Hybris zu einem packenden Monument verwirklichter Avantgarde des vergangenen Jahrhunderts. Sicher ist diesem elektrisierenden Gebräu die Versiertheit in Sachen Zwölftonmusik (Arnold Schönberg), musikalischer Sinnstiftung (Karlheinz Stockhausen) oder radikaler Retro-Innovation (John Cage) anzuhören. Und wenn schon. Zeitfresser zelebrieren die schier unergründliche Schönheit der Reed’schen Komposition, ohne die ihr zugrunde liegende, sich aus Frust, Verzweiflung und Depression nährende Hässlichkeit zu verniedlichen. Im Gegenteil. Ein auf Vinyl und Silberling gepresstes Freudenfest der Sinne, ideal für den Sonnenstrand oder den Weihnachtsbaum. Wer zuerst überfordert abschaltet, darf fortan nur noch WDR 4 („Musik für ein gutes Gefühl”) oder die Bayernwelle hören.
Stephan Wolf
Veröffentlicht: 09/2014
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