Keine Ouvertüre, und auch keine langsame Einführung. Mit geballter Aggression ergeht der Auftakt zu Lacrimosas neuestem Album in Form des ersten von drei Sätzen des Titelstückes mit den Worten „Schaut mich nicht so an, ich bin kein Tier“, die ebenso wenig gutes verheißen wie unheilvolle Orgeltöne, die dem vorausgehen. Die Notwendigkeit, an „Elodia“ inhaltlich anzuknüpfen, geschehen in Gestalt der Single „Der Morgen danach“, war in meinen Augen nicht gegeben, und so wirkt sie durch einfaches Reimschema wie ein Fremdkörper, was aber wiederum dem Konzept dienlich ist, das sich mit dem Spannungsfeld befaßt, welches sich aus der Beziehung des Einzelnen zur Gesellschaft ergibt, ein für Lacrimosa ungewöhnlich gesellschaftskritisches Thema. Das Team Wolff und Nurmi geht auch musikalisch einige Schritte weiter. Ein Trompetensolo, an Pink Floyd erinnernde Gitarren (beide in „Warum so tief“) sind ebenso überraschend wie der Einsatz von Holzbläsern, wie man sie von Rondo Veneziano kennt, hier freilich in heftigst aufspielender Rockbesetzung und wuchtig arrangierte Chor- plus Orchesterpassagen eingebettet. Auch die in Tilos Gesang stellenweise zum Ausdruck kommende Frustration ist in dieser Intensität überraschend. Inhalt, Instrumentierung, Arrangement und die Gesangsstimmen von Tilo und Anne machen „Fassade“ zu einem Album, das viel Aufmerksamkeit verlangt, für die aber nicht allein das grandiose Finale im dritten Satz mehr als belohnt.
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