Joachim Witt
„Neumond“
(Oblivion/SPV)
„,Mein Herzʼ schlägt elektrisch“, titelte vor kurzem die Website des „Stern“ anlässlich der Premiere von Joachim Witts neuem Video – ja, ausgerechnet das Medium, das ihn im Zuge der Kontroverse um „Gloria“ noch als ,beleidigte Leberwurstʼ tituliert und in Grund und Boden geschrieben hatte. Abgesehen von dieser erstaunlichen Auffassungsflexibilität kann man diesen Satz jedoch durchaus so stehen lassen, denn „Neumond“ ist auch dank der Mitwirkung von Mono Inc.-Frontmann Martin Engler eine elektronische Tanzplatte mit diskreten Stampfqualitäten geworden und somit ein gutes Stück von der kathedralischen Popmusik des Albums „DOM“ entfernt. Stattdessen schwanken Witt und Engler zwischen schwermütigen Halbballaden und synthetischen Beats – von einer zuletzt kolportierten Nähe zu Unheilig ist genauso wenig zu spüren wie vom vielstrapazierten Begriff Neue Deutsche Härte, da Gitarren in den zwölf Stücken allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Die erwähnte Auskopplung macht mit flinker Sequenz und ohrwurmträchtigem Refrain genauso Eindruck wie „Die Erde brennt“ oder „Es regnet in mir“, das sich zudem rudimentär der Zeit erinnert, als Futurepop noch ein Begriff war, der noch nicht von allen Seiten angefeindet wurde – die Tanzböden werden sich dazu ganz von alleine füllen. Nur ein einziges Mal zeigt sich Witt als vergleichsweise missmutiger Grummler und schafft es dennoch, „Dein Lied“ zu einem polternden Ungetüm von Ohrwurm hochzustilisieren, bevor ein Album ausklingt, das sicherlich zu den besseren des unermüdlichen Norddeutschen zählt.
Thomas Pilgrim
Veröffentlicht: 05/2014