(Bakraufarfita Records/Nova MD)
Die Ärzte aus Berlin erkannten früh, worauf es im Leben ankommt: Immer mitten in die Fresse rein, heißt es in ihrem „Ein Songs namens Schunder“ von 1995. Tomas Tulpe, ebenfalls Berliner, nahm sich das Motto jenes herausragenden Werks der Unterhaltungsmusik zu Herzen, denn auch er legt seit jeher großen Wert auf regelmäßige orale Nahrungszufuhr. Tulpes Kritiker sind zwar der Auffassung, seine teils von Ketchup, Senf, Bananen und Mayonnaise handelnden Lieder seien der reinste Schund, doch sie tun ihm damit Unrecht, denn sie übersehen die metaphorische Tiefe, die den Texten des begnadeten Entertainers innewohnt. „Weekend“ beispielsweise greift nicht etwa nur den Wunsch eines Großteils der erwerbstätigen Bevölkerung auf, am Wochenende entspannt die Füße hochzulegen und dem Nichtstun zu frönen. Mittels passender Sprachsamples gelingt es Tulpe, auch das lodernde Aggressionspotenzial aufzuzeigen, welches früher oder später aus einer sich nicht mehr im Gleichgewicht befindenden Work-Life-Balance resultiert. „Ich hasse Gardinen“ ist weniger das Eingeständnis einer exhibitionistischen Verhaltensstörung als vielmehr der Aufruf, die anonymen Lebenswelten moderner Großstädte zu durchbrechen und der Vereinsamung ganzer Bevölkerungsgruppen entgegenzuwirken, während „60 km/h“ keineswegs das Fehlverhalten sich nonkonform verhaltender Autofahrer verherrlicht, sondern zur gelebten Rücksichtnahme im Straßenverkehr anregen möchte. Mit „In der Kantine gab es Bohnen…“ verhält es sich wie mit einem aus drei in die Wand geschlagenen Nägeln bestehenden Kunstwerk: Banausen werden nie begreifen, warum andere dafür Geld bezahlen. In diesem Sinne: Ist wieder mal „Schön mit dir“, Tomas!
Kai Reinbold
Veröffentlicht: 10/2017