Keiner arbeitet so lange und unermüdlich wie Marc Almond. Sein eigenes Denkmal hat der wavige Mister aus der britischen Hauptstadt schon längst als unverrückbare Trutzburg gegen die musikalischen Gezeiten tief in Marmor eingemeißelt, bleibt also genügend Zeit für die Arbeit an anderen Dingen. An seiner Biographie, an Projekten befreundeter Musiker, an der lange herbeigesehnten Soft Cell Reunion und nicht zuletzt auch an seinen eigenen Werken. Niemals scheint der introvertierte und doch quirlige Engländer zu rasten oder zu ruhen, der nun mit „Stranger Things“ den Nachfolger des erst gute zwei Jahre alten Albums „Open All Night“ veröffentlicht, das die Musikwelt zwar nicht revolutionierte, doch aber mehr als wohlwollend aufgenommen wurde und nach den Kopfschütteln hervorrufenden Ausflügen in die Welt des Glamrock auch den einen oder anderen Hit und potentiellen neuen Evergreen nach alter Manier im ü¤rmel verborgen hielt. „Stranger Things“ knüpft da an, wo sich die Türen verruchter Etablissements des halbseidenen Gewerbes im Morgengrauen bei „Open All Night“ schlossen: Melancholisch-dramatischer Wave mit Underdog-Appeal, der sich einerseits als bombastisch arrangierter Pop der mitreißendsten und überschwenglichsten Sorte zeigt („Glorious“, „Lights“), ohne jedoch auf erneute und ausgiebige Ausflüge ins Reich der Ballade („Under Your Wing“, „Tantalize Me“, „When ItÔÇÖs Your Time“) und ins Exotisch-Experimentelle mit 50er Jahre Salon-Charme („Come Out“, „Moonbathe Skin“, „Dancer“) verzichten zu wollen. Marc Almond zerrt sie aus dem letzten verbleibenden Halbschatten des anbrechenden Tages ins gleißende Licht der Sonne: Die seltsamen Dinge, die überschminkten Narben und die tragischen Geschichten vom Leben in der großen Stadt, in der Liebestaumel und Herzschmerz, Zweisamkeit und Abschied so nahe beieinander liegen und meistens doch nur in Tränen enden, es manchmal nur ein ganz kleiner Schritt ist aus der Gosse zu den Sternen. Und umgekehrt.
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