Nach „Cold Pills (Scarlet Gate of Toxic Daybreak)“ legen Kirlian Camera mit einem weiteren Doppelalbum nach. Zum Glück ist das kein Indiz für mangelnde Fokussierung. „Radio Signals For The Dying“ verpackt Enigmatisches in eingängige Songs und (vermeintlich) Fassbares in komplexe Arrangements. Das Album ist vielschichtig. Die Richtung aber bleibt erkennbar. Intuitiv. Irrwege inbegriffen. „Goetter geht weg“ etwa kündet nicht von der Austreibung religiöser Rückstände, sondern kreist um weltliche „Götter“, mag der einleitende sakrale Chor auch anderes nahelegen. Eigene Gedanken sind freilich erwünscht. Hinhören und Hinfühlen auch. Gerade bei clubtauglichen Tracks. Was an Einflüssen Eingang gefunden hat, lässt sich nur umreißen: „Il Tempo Profondo“ weist im Untergrund jene rockigen Spurenelemente auf, die den Klangkosmos der Italiener zuletzt erweiterten. Das The Sound-Cover „Winter“ projiziert Kosmisches vor das innere Auge, löst sich dann in Richtung Klangcollage auf und findet doch wieder zu eindringlicher Melodik zurück – getragen von Elena Alice Fossi in Bestform. Zwischen Elektropop und Ligeti-Chorsätzen ist alles drin. Weil es garnicht um Pop oder Avantgarde geht, sondern um das, was dahinter liegt: Signale. Konkret sind das oft Sounds, die auch eingängige Passagen begleiten oder durchbrechen. Konzeptionell sind es Botschaften. Apropos: Auch Julian Assange meldet sich zu Wort: In „Luminous Shade“. Hier wird die bedrohliche Elektronik zaghaft von einer Synthlinie aufgehellt. „Genocide Litanies“ führt direkt in den Abgrund. Ganz entschlüsseln lässt sich „Radio Signals For The Dying“ nicht. Gut so. Kunst, die Rätsel ungelöst lässt, bleibt auf lange Sicht reizvoll.
Christoph Kutzer
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