Xiu Xiu
„Angel Guts: Red Classroom“
(Bella Union/[PIAS] Cooperative/Rough Trade)
Ein neues Xiu Xiu-Album. Wie alle zwei Jahre. Klingt beruhigend? Keineswegs. Beim todessehnsüchtigen Soundextremisten Jamie Stewart wird es nämlich von Platte zu Platte gespenstischer. Kleiner Auszug aus den bevorzugten Themen des Kaliforniers: sadistische Morde, Inzest, Bulimie, Abtreibung – da überrascht es wenig, dass „Angel Guts: Red Classroom“ nach einem japanischen Porno benannt ist und die Songs „Black Dick“ oder „Adult Friends“ heißen. Schafften Xiu Xiu zuletzt auf „Dear God, I Hate Myself“ und „Always“ den Spagat zwischen Finsternis und Pop-Drama, wirkt dieses Album jedoch wie ein Faustschlag – obwohl es mit der Instrumentierung aus Keyboards, Drummachine und Schlagzeug vergleichsweisen Minimalismus walten lässt. Aber auch der erschüttert zutiefst und lässt die zwölf Stücke nebst Intro und Outro klingen, als stünden Scott Walker nach einem Griff in die Steckdose sämtliche Haare zu Berge. Das bösartige, von Lärmattacken aufgebrochene Stakkato in „Stupid In The Dark“ entpuppt sich als schwarzer Albtraum, die Kriechströme von „New Life Immigration“ verpflanzen Singer-Songwritertum ins Industrial-Zeitalter, und „Cinthya’s Unisex“ lässt endgültig alles durchdrehen: Synthies, Rhythmen und natürlich Stewarts offenbar bis aufs Blut gepeinigte Stimme. Selbst Verweise auf Kirin J Callinan, Patrick Wolf oder suizidäre Nine Inch Nails werden diesem vor blankem Entsetzen schillernden Horrortrip einfach nicht gerecht. Ein Album aus der Hölle. Aber vielleicht ist da ja noch ein Plätzchen frei?
Thomas Pilgrim
Rezension aus Sonic Seducer, Ausgabe 02/2014.