Tori Amos „Native Invaders“
(Decca Records/Universal)
Tori Amos hat in den letzten Jahren an vielen Schrauben gedreht. Erst flutete sie ihre Songs mit Klassik, dann übte sie sich an Ohrwürmern für das Musical „The Light Princess“. Mit „Unrepentant Geraldines“ gelang es ihr zuletzt, die gesammelten Erfahrungen auf einem Album voller großartiger Momente zu vereinen und dabei die besten Qualitäten ihrer frühen Werke zu bewahren. „Native Invaders“ muss sich daran messen lassen und hat es im direkten Vergleich mit „Unrepentant Geraldines“ schwer. Zu Beginn des Albums experimentiert Amos, spielt mit Texturen, süßlichem Gesang und sanftem Pop. Doch das Experiment ist gewagt. Nur schleppend kommt „Native Invaders“ in Gang, verpufft in Easy Listening. Natürlich gibt es Schlimmeres als einen Fahrstuhl mit Amos-Beschallung, aber „Wings“ oder „Cloud Riders“ wirken stellenweise bemüht. Eine gelungenere neue Facette bringt erst der fünfte Song „Up The Creek“ mit angedunkelter Electronica. Er ist der Wendepunkt, an dem Tori Amos zu alter Stärke zurückfindet. Eindringliche Harmonien der Ballade „Breakaway“ und die kontrastreichen Akkordwechsel in „Chocolate Song“ oder das anklagende „Benjamin“ holen das Album aus dem anfänglichen Tief heraus. „Scarlet’s Walk“ und „Under The Pink“ sind zwei Eckpfeiler, auf die „Native Invaders“ musikalisch Bezug nimmt, während es inhaltlich zwischen Öko-Album, politischem Kampfgedicht und familiärer Aufarbeitung pendelt. Gelegentlich wirkt es, als wolle Tori Amos auf „Native Invaders“ zu viel auf einmal. Neben etwas mehr Fokus hätte den Songs eine andere Reihenfolge gut getan. So bleibt „Native Invaders“ unter dem Strich ‚nur‘ ein gutes Amos-Album, aber keins ihrer besten.
Torsten Schäfer
Rezension aus Sonic Seducer, Ausgabe 10/2017.