October Tide
„Winged Waltz“
(Agonia Records/Soulfood)
Es hat etwas Behagliches, dieses „Lost In Rapture“, der sechste Song auf dem neuen Album von October Tide, denn auch wenn weder Titel noch Text allzu gemütlich wirken, ist der Song eine Zeitreise in die Mitte der Neunzigerjahre, als Gothic- und Doom Metal auf einem ihrer Höhepunkte waren. Er ist auch das akustische Gegenstück zum besinnlichen Betrachten eines Fotoalbums mit alten Aufnahmen, während man Wein trinkend im Ohrensessel sitzt. Nun sind auch die anderen sieben Songs auf dem Album klare Verneigungen in Richtung der guten alten Zeit, aber „Lost In Rapture“ zeigt in seinen fast sechs Minuten ganz besonders jene Elemente, wegen derer man diese Musik so liebt: die bedrohliche Langsamkeit mit der die Gitarren dem Rest der Besetzung den Weg bahnen, die extrem einprägsamen Leads der gedoppelten Solo-Gitarren, der schleppende Rhythmus und das tiefe, kehlige Grollen des Sängers – ein Traum von Doom! So ist „Winged Waltz“ auch keine moderne Neuinterpretation, sondern die Musik gewordene Essenz der letzten zwanzig Jahre eines ganzen Genres.
Masi Kriegs