Erinnern wir unsüMassive Attack galten 1990 schon als der neue heiße Scheiß, lange bevor ihr Debütalbum „Blue Lines“, ein überbordendes Konglomerat aus HipHop, brodelndem Groove, Soul und trippigem Electro, überhaupt veröffentlicht wurde. Damals wie heute sollte beziehungsweise soll der Irak bombardiert werden, weswegen die Band den aggressiven Teil des Namens strich und sich vorübergehend nur noch Massive nannte. 13 Jahre später sieht die Weltlage nicht bequemer aus ÔÇô 2003 setzen Massive Attack Demonstrationsaufrufe gegen Bush auf ihre Website und haben das mit Abstand düsterste Album ihrer Laufbahn aufgenommen. Schon der Vorgänger „Mezzanine“ wühlte tieffrequenzig im Morast und hatte kaum Flockiges aus der TripHop-Kiste zu bieten, dafür jedoch wenigstens noch designierte Hits wie „Teardrop“ oder das mit Bratzgitarren in Zeitlupe überspielte „Angel“. „100th Window“ wirkt nun wie ein langsamer, anhaltender Schwelbrand, von dem jeder, der soulige Tunes und zauberhafte Melancholie erwartet, magnetisch eingesaugt wird. Von ihren einst trippigen Wurzeln entfernen sich Massive Attack hier völlig, gerade die ersten drei Tracks der Platte verweigern sich geradezu störrisch den Regeln der Eingängigkeit. Erst ab Stück vier, der Single „Special Cases“, werden vereinzelt Haken ins Fleisch geschlagen, an denen sich der Hörer festhalten kann. Das folgende „Butterfly Caught“ pumpt dann mit einem gnadenlosen Midtempo-Groove nach vorne, und selbst Sinü®ad OÔÇÖConnors Gesang auf „A Prayer For England“ beschwört böse Bilder von im Königreich mißbrauchten und getöteten Kindern herauf. Der Rausschmeißer „Antistar“ entläßt uns schließlich mit einem hypnotischen, noch Stunden nachhallenden Loop aus äußerst beunruhigen 62 Minuten, die anschließend noch durch eine 13minütige Drone-Bassline komplettiert werden. „100th Window“ brennt sich eisig ins musikalische Bewußtsein ein, ist gefährlich wie eine Baugrube im Dunkeln und verdient Platte des Monats.
Veröffentlicht: