Marnie
„Crystal World“
(Les Disques du Crepuscule)
Gäbe es genügend Interessenten für ein Soloalbum eines Ladytron-Mitglieds? Diese Frage hat sich Helen Marnie im Jahr 2012 gestellt und die Fans direkt angesprochen. Auf der Crowdfunding-Plattform PledgeMusic stellte sie ihre Pläne und nötigen Budgetkalkulationen vor und fand im World-Wide-Web genügend Spender für ihr Projekt. Aufgenommen und produziert wurde „Crystal World“ auf der Björk-Insel Island und zufälligerweise trägt der Opener und stärkste Song des Albums denselben Titel wie einer der größten Hits von Fräulein Gudmundsdottir: „Hunter“. Auf diesem Titel fällt gar nicht auf, dass die Schottin Marnie sich selbstständig gemacht hat. Wohl auch weil Kollege Daniel Hunt seine Finger im Spiel hatte, klingt nicht nur „Hunter“ so, als hätten Ladytron den Charme ihrer „Witching Hour“ wiederentdeckt. Zuletzt hatten die Liverpooler auf Studioalbum Nummer fünf ja eher einen kleinen Schwenk Richtung Roxy Music getätigt. Insgesamt belegt „Crystal World“, dass die gebürtige Glasgowerin eine tragende Rolle im Songwriting und Soundcharakter Ladytrons einnimmt, nicht nur wegen ihrer Stimme. Kaum jemand im Synthpop-Genre beherrscht das Handwerk so wie sie, muss man nach ihrer Solopremiere festhalten. Deshalb soll der Gastauftritt des NIN-Livekeyboarders Alessandro Cortini auf „We Are The Sea“ hier nur eine Randnotiz einnehmen. Es hätten zwar durchaus mehr Kaliber wie „Hunter“ auf das Album gepasst, doch Marnie ist es gelungen, ihre Vielseitigkeit unter Beweis zu stellen, ohne den roten Faden zu verlieren – das war auch ihre Intention. Dass zwar Ladytron nicht drauf steht, aber drin steckt, wollen wir an dieser Stelle nicht kritisieren. Im Gegenteil.
François Duchateau
Veröffentlicht: 11/2013