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70 Minuten rezitierte Lyrik und Neoklassik? Das birgt eine Menge Potenzial zum Scheitern. Zum einen ist nicht jeder, der sich für einen Erben der Romantiker hält, ein großer Poet, zum anderen setzt mancher den Einsatz von Streicherpresets allzu rasch mit Soundtrackkomposition gleich. Jens Semrau (Musik) und Andre Lamijon (Texte) bewegen sich mit ihrem Abendland Projekt glücklicherweise außerhalb dieser Gefahrenzone. Die Gedichte scheuen nicht vor einem gehobenen, leicht altertümlichen Ton zurück, wirken aber nie zu gedrechselt. Der musikalische Rahmen ist dynamisch und detailreich gestaltet und pendelt zwischen Mondscheinsonaten-Melancholie („Alles beginnt mit Einem“) orchestralem Bombast („Poetenkrystall“) und Elektronik („Mon Dieu“). Das Sahnehäubchen bilden die Stimmen der Schauspieler und Synchronsprecher, die für „Sturmwinds brennende Flügel“ gewonnen werden konnten, etwa Tobias Kluckert (Joaquín Phoenix in „Walk The Line“) oder Udo Schenk (Lord Voldemort in „Harry Potter“). Am Ende steht ein Hörbuch voller Gedanken über die ewige Macht der Liebe in all ihren Spielarten, über Träume, Schmerz, Hingabe und Verblendung – ambitioniert umgesetzt und im Ineinandergreifen von Sprache und Musik ausgesprochen intensiv.
Christoph Kutzer
Veröffentlicht: 03/2018
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