Joachim Witt „Rübezahl”
(Ventil/Believe Digital/Soulfood)
Joachim Witt – der Märchenonkel? Nichts da – auch sein 17. Studioalbum eignet sich keineswegs als Gutenacht-Platte. Wie es zu erwarten war, wenn Lord Of The Lost-Chef Chris Harms am Mischpult sitzt und eine Härte einzieht, die in ihrer Knackigkeit am ehesten an die Phase erinnert, als Witt mit der Werkreihe „Bayreuth“ lautstark auf die musikalische Landkarte zurückkehrte. Gleich zu Anfang stellen die mörderischen Riffs und dicken Percussions von „Herr der Berge“ und das ebenso zupackende „Ich will leben“ klar, dass ein Alter von 70 Lenzen kein Hinderungsgrund dafür ist, ordentlich zu rocken. Dabei lässt der Hamburger stets musikalische Umsicht walten und baut Zwischentöne ein: „Wofür du stehst“ oder „Eis und Schnee“ lockern die eiserne Faust von „Rübezahl“, geben sich vergleichsweise groovy und im Refrain hymnisch bis versöhnlich. „Goldrausch“ fährt orchestralen Bombast auf, und mit „Mein Diamant“ ist sogar eine im Herzen zarte Klavierballade dabei. Wer genau hinhört, wird in den vordergründig naturalistischen, mitunter romantischen Stücken eine gesellschaftspolitische Dimension entdecken, unter der es Witt auch eineinhalb Jahrzehnte nach der Selbstdefinition als „linker Kosmopolit“ nicht macht – als Beleg genüge die Zeile „Wer die Macht versteht, wird nicht aus der Welt fallen / Wer sie hintergeht, dem wird sie um die Ohren knallen.“ Was einem hier vor allem um die Ohren fliegt, sind jedoch 13 massive Songs.
Thomas Pilgrim
Rezension aus Sonic Seducer, Ausgabe 04/2018.